Von der Heimat und der Fremde: Egon Schwarz‘ Beziehung zu Wien

Es mag unglaubwürdig klingen, wenn jemand, der so ferne lebt wie ich, behauptet, die Österreichische Gesellschaft für Literatur habe eine beachtliche Rolle in seinem Leben gespielt. Und das kam so. (…)

(Egon Schwarz, Laudatio, enthalten in einem Brief an Marianne Gruber, 17. Oktober 2011, ÖGfL-Archiv)

Mit diesen Worten begann der kurze, zur Verlesung bestimmte Text, den der Exilgermanist Egon Schwarz (1922 – 2017) anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 2011 an die damalige Leiterin Marianne Gruber schickte. Gerne wäre er, wie er versicherte, bei den Feierlichkeiten als Laudator dabei gewesen, „mit neunundachtzig und einer Reihe von Zipperlein“ sei eine solche „mühselige Ozeanüberquerung“ aber so „kurzfristig und für bloß ein paar Tage Aufenthalt in Europa“ (ebd.) einfach nicht möglich.

Dies war bis dahin die einzige Gelegenheit, bei der Schwarz, dessen Verdienst darin besteht, als einer der ersten Dozent*innen an einer amerikanischen Universität über die österreichische Literatur unterrichtet zu haben, eine von der ÖGfL ausgesprochene Einladung nach Wien ausschlagen sollte.  

Dass es allerdings überhaupt zu einem Besuch des Exilanten kam, ist nur der Hartnäckigkeit des ehemaligen ÖGfL-Mitarbeiters Reinhard Urbach zu verdanken. Egon Schwarz hatte Wien, das er 1938 verlassen musste, in seiner Kindheit als „verarmte[…], von politischen Leidenschaften gepeitschte[…], von Vorurteilen zerwühlte[…], einem unmenschlichen Regime ausgelieferte[…] Provinzstadt“ (Schwarz, Egon: Die Vertreibung aus Wien, perspektivisch gesehen, S.529) erlebt und an ihr auch 1956 bei seiner ersten, in privatem Rahmen stattgefundenen Reise nach Europa keinen Gefallen gefunden:

 

1970 vertrat Reinhard Urbach den Joseph Roth-Biografen David Bronsen während eines Sabbaticals am German Department der Washington University in St. Louis, dessen Leiter zu diesem Zeitpunkt Egon Schwarz war. Wie der ehemalige ÖGfL-Mitarbeiter im Interview berichtete, setzte er es sich zum Ziel, die Versäumnisse des offiziellen Österreich – das sich im Gegensatz zu Deutschland, wo man schon 1962 auf Schwarz aufmerksam geworden war, nicht um den renommierten Literaturwissenschaftler bemüht hatte – nachzuholen und Schwarz mit seiner Heimatstadt zu versöhnen.

 

Den Gesprächen in St. Louis folgte eine von Reinhard Urbach nur wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Österreich verfasste offizielle Einladung der Literaturgesellschaft zu einem Vortrag nach Wien.

Lieber Egon,

auf diesem offiziellem Briefpapier möchte ich Sie herzlich einladen, im Herbst oder Winter oder im Frühling bei uns einen Vortrag zu halten, oder genauer: Ihren Vortrag zu halten. Damit meine ich den Hessevortrag.

Es wäre schön, wenn Sie sich dazu entschließen könnten. Vielleicht können wir uns auch bald schon über einen möglichen Termin einig werden. Es wäre mir recht, wenn Sie diese Einladung als einen Grund mehr dafür ansehen würden, wirklich nach Wien zu kommen

(Reinhard Urbach an Egon Schwarz, 14. Juli 1970, ÖGfL-Archiv)

Zwar waren bis zu Schwarz‘ finaler Zusage noch ein paar weitere Briefe notwendig, doch schlussendlich sollte Reinhard Urbachs Plan aufgehen und der Vortrag mit dem Titel Das verschluckte Schluchzen. Rainer Maria Rilke und seine Zeit konnte für den 13.Mai 1971 angesetzt werden.

Ab diesem Zeitpunkt wurde Schwarz immer wieder für Vorträge und Symposien von der ÖGfL nach Wien eingeladen, später, nach seiner Emeritierung, kam er regelmäßig, fast im Jahresrhythmus. Egon Schwarz betonte während eines im Zuge seines letzten Aufenthalts auf Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur im Jahr 2016 geführten Interview, dass er sich in Wien ab dem ersten von der Literaturgesellschaft organisierten Aufenthalt wieder wohl gefühlt habe, dazu habe insbesondere auch die zur Verfügung gestellte Gästewohnung in der Academia/Pfeilgasse 3A beigetragen. Diese Wohnung fungierte von 1971 bis 2016 als Schwarz‘ Adresse in Wien:

 

Neben persönlichen Bekanntschaften, die Schwarz im Laufe der Zeit an Wien banden – so waren etwa Reinhard Urbach und dessen Gattin „längst zu engen Freunden geworden, andere kamen hinzu, Wolfgang Kraus und seine Nachfolgerin Marianne Gruber wurden es auch“ (Egon Schwarz, Laudatio, enthalten in einem Brief an Marianne Gruber, 17. Oktober 2011, ÖGfL-Archiv) – waren es auch die sich vonseiten des offiziellen Österreich einstellenden Ehrungen, etwa die Verleihung der Ehrenmatura 1986 oder des Ehrendoktorats der Universität Wien 1997, die Egon Schwarz „nach so langer Zeit und so vielen historischen Katastrophen“ (ebd.) vollends mit seinem Heimatland versöhnten.

„Und so kann ich“, heißt es im Schluss von Schwarz‘ eingangs zitierter Laudatio auf die ÖGfL, „getrost sagen, dass das ohne die Österreichische Gesellschaft für Literatur niemals der Fall gewesen wäre.“ (ebd.)

Quellenangaben

ÖGfL-Archiv

Ebel, Ursula, Englerth, Holger: Im Rahmen des Projekts „Die Österreichische Gesellschaft für Literatur. Selbstverständnis, Literaturförderung, Kulturpolitik (2016–2017)“ geführtes Interview mit Egon Schwarz, Wien, 8.6.2016.

Ebel, Ursula, Englerth, Holger: Im Rahmen des Projekts „Die Österreichische Gesellschaft für Literatur. Selbstverständnis, Literaturförderung, Kulturpolitik (2016–2017)“ geführtes Interview mit Reinhard Urbach, Wien, 22.6.2016.

Schwarz, Egon: Die Vertreibung aus Wien, perspektivisch gesehen. In: Friedrich Stadler [Hg]: Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930-1940. Bd.2. Münster: LIT 2004.

Zitierhinweis

Kiefer, Nicole: Von der Heimat und der Fremde: Egon Schwarz‘ Beziehung zu Wien. Abrufbar unter: https://ogl.univie.ac.at/aus-dem-archiv/von-der-heimat-und-der-fremde-egon-schwarz-beziehung-zu-wien/

 

 

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