Von Brighton nach Zagreb: österreichische Autor*innen auf Tour / 1971

Das Jahr 1971 wurde vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst als „Jahr der Literatur“ ausgerufen. Ziel dieses Schwerpunktjahres war einerseits, das Ausland auf das Schaffen von Schriftsteller*innen wie H.C. Artmann, Thomas Bernhard, Elias Canetti, Barbara Frischmuth oder Peter Handke aufmerksam zu machen und andererseits, die Tätigkeit der Österreichischen Kulturinstitute systematisch auszubauen. Das Programm beinhaltete neben u.a. einer Bücherspendenaktion zugunsten ausländischer Studierender oder einer Sonderstipendienaktion für Auslandsgermanist*innen mit dem Forschungsschwerpunkt auf Gegenwartsliteratur auch die Entsendung von Theatergruppen und Autor*innen ins Ausland. So tourte etwa das Reinhardt-Seminar mit einem Stück von Peter Handke durch die USA, während das Ensemble „Die Komödianten“ mit einer Montage zeitgenössischer österreichischer Lyrik in mehreren europäischen Städten gastierte. Eine besondere Ausstrahlungskraft erwartete man aber insbesondere von den Lesetourneen prominenter Schriftsteller*innen an ausländischen germanistischen Zentren und Universitäten. Wie im „Kulturpolitischen Fünfjahresplan für die Auslandsarbeit“ des Ministeriums festgehalten wurde, plante man, dass

die Autoren […] auf Einladung des Ministeriums jeweils zwei bis drei Wochen „auf Reisen gehen“ [werden], um vor Studenten aus ihren Werken zu lesen. Analog dazu sollen führende Literaturkritiker über die zeitgenössische Literatur referieren.

(Kulturpolitischer Fünfjahresplan für die Auslandsarbeit des Bundesministeriums für Unterricht, 1970, ÖGfL-Archiv)

Dieses Konzept umzusetzen – Schriftsteller*innen und Literaturkritiker*innen als Duos zusammenzuspannen – sodass den Lesungen der Autor*innen jeweils eine allgemeine Einführung in die neueste österreichische Literatur vorangehe, konnte nicht in allen Fällen umgesetzt werden. So absolvierte etwa Elias Canetti seine auf 20 Tage geplante Lesereise durch Italien und Jugoslawien wohl alleine. Thomas Bernhard hingegen wurde auf seiner Reise durch Italien und Jugoslawien im Februar und März 1971 von dem Kulturredakteur Hans Rochelt begleitet, während Barbara Frischmuth auf ihren beiden Tourneen durch Jugoslawien (im April 1971) sowie Frankreich und Großbritannien (im November 1971) den ÖGfL-Mitarbeiter Reinhard Urbach an ihrer Seite hatte. Sowohl von Thomas Bernhards als auch von Barbara Frischmuths Reisen ist ein für das Ministerium verfasster, abschließender Bericht im Archiv der Österreichischen Gesellschaft für Literatur vorhanden, allerdings könnte das Fazit kaum unterschiedlicher ausfallen.

Daß man ausländisches Publikum zu nichts zwingen kann, versteht sich von selbst, aber die Aufwendungen des Bundesministeriums sind nur dann sinnvoll, wenn alle Möglichkeiten zur Vorbereitung und Durchführung solcher Veranstaltungen wirklich ausgeschöpft werden. Voraussetzung dafür ist aber, daß wirklich literarisch geschulte Leute im Auslandsdienst tätig sind, die über die entsprechenden Kontakte zu den interessierten Kreisen des jeweiligen Landes verfügen.

(Rochelt, Hans: Berichterstattung Lesungstournee Thomas Bernhard, S.3., ÖGfL-Archiv)

Wie dieses Zitat zeigt, sparte Hans Rochelt in seinem Bericht über eine von Missverständnissen und Organisationsfehlern geprägte Reise – so wurde man etwa in Triest nicht am 26. Februar, sondern erst am 17. März erwartet – nicht an Kritik an den Österreichischen Kulturinstituten im Ausland, denen er vor allem mangelndes Engagement bei der Bewerbung der Veranstaltungen vorwarf. Lobend erwähnte der Kulturredakteur lediglich die Lesehalle in Zagreb, durch deren Initiative Bernhard und Rochelt an der Zagreber Universität „ein vollbesetzter Hörsaal“ sowie „ausführliche Gespräche mit den Zagreber Germanisten“ erwarteten: „die Resonanz war in jeder Hinsicht zufriedenstellend.“ (ebd.) Insgesamt fiel Rochels Resümée der Reise freilich „eher betrüblich“ aus, da

der Zweck des Literaturjahres, nämlich die Propagierung österreichischer Literatur im nichtdeutschsprachigen Ausland, nur in bescheidenem Maß erreicht wurde. (ebd.)

Völlig anders fällt Reinhard Urbachs Bericht über die gemeinsame Vortragsreise mit Barbara Frischmuth in England aus.  So hob der ehemalige Mitarbeiter der ÖGfL die exzellente Betreuung durch das Österreichische Kulturinstitut London hervor. Dieses hatte die Termine an den Universitäten organsiert und in Gestalt des stellvertretenden Leiters Robert Rauscher eine kompetente Person zur Verfügung gestellt, die die beiden Vortragenden mit dem Auto durch Südengland chauffierte und zu den jeweiligen Veranstaltungsorten brachte. Darüber hinaus betonte er den Erfolg der Veranstaltungen und die auf die Auftritte folgenden anregenden Diskussionen mit Studierenden, die er nicht zuletzt auf die Tatsache zurückführte, dass

sich die Tradition der englischen Kinder-Literatur zu den Texten von Barbara Frischmuth sehr gut in Beziehung setzen läßt. Dadurch waren für das Verständnis dieser Texte Voraussetzungen gegeben, wie sie vor einem deutschsprechenden Publikum nur selten gegeben sind.

(Urbach, Reinhard: „Vortragsreise Barbara Frischmuth / Reinhard Urbach nach Paris und London im Rahmen des Literaturjahres, S.2., ÖGfL-Archiv)

Als Resultat dessen konzentrierten sich die Lesungen, wie Reinhard Urbach im Dezember 1971 in einem Brief an Siegfried Unseld festhielt, „von Mal zu Mal mehr auf Stücke aus der „Amoralischen Kinderklapper““, ein Buch mit besonders großen „Beziehungen zur viktorianischen Kinderliteratur“ (Reinhard Urbach an Siegfried Unseld, 14. Dezember 1971, ÖGfL-Archiv), weswegen Urbach gegenüber Unseld sogar anregte, es in einem englischen Verlag unterzubringen zu versuchen. Zwar scheint diese Anfrage erfolglos geblieben zu sein, dennoch kann das allgemeine Fazit des ÖGfL-Mitarbeiters hinsichtlich seiner Reisen im Literaturjahr 1971 nur als äußerst positiv gewertet werden:

Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß keine der Veranstaltungen nutzlos gewesen sein dürfte, daß wir überall auf Interesse und Entgegenkommen gestoßen sind und es nirgendwo an sprachlichem oder inhaltlichem Verständnis mangelte. Dies läßt den Schluß zu, daß die Universitäten für solche Vortragsabende eines österreichischen Autors, wenn sie – wie in diesem Falle – von den Kulturinstitutionen veranstaltet werden, nicht nur dankbar sind, sondern daß solche Veranstaltungen auch dem tieferen Verständnis der österreichischen Literatur in England förderlich sind.

(Urbach, Reinhard: Vortragsreise Barbara Frischmuth / Reinhard Urbach nach Paris und London im Rahmen des Literaturjahres, S.3., ÖGfL-Archiv)

Zitierhinweis

Kiefer, Nicole: Von Brighton nach Zagreb: österreichische Autor*innen auf Tour / 1971. Abrufbar unter: https://ogl.univie.ac.at/aus-dem-archiv/von-brighton-nach-zagreb-oesterreichische-autorinnen-auf-tour-1971/

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