Ein Gugelhupf mit Thomas Bernhard: die Literaturgesellschaft als Wiener Salon

Eine Besonderheit im Veranstaltungskalender der ÖGfL stellten die sogenannten „literarischen Jausen“ dar, die von Beginn an bis in die frühen neunziger Jahre in unregelmäßigen Abständen abgehalten wurden.  Hierbei handelte es sich um Zusammenkünfte informeller Art, die alle paar Monate nachmittags in den Räumlichkeiten stattfanden und den Gästen die Möglichkeit zu einem zwanglosen Austausch in kleinem Kreis gaben.

Üblicherweise waren die Jausen auf etwa 10 und 30 Personen ausgerichtet, sowohl Autor*innen als auch Verleger*innen und Publizist*innen, manchmal sogar Politiker*innen wurden eingeladen. Häufig erscheinende Stammgäste waren insbesondere Akteur*innen aus dem Wiener literarischen Feld wie Jeannie Ebner, Ilse Tielsch, Hermann Geil, Barbara Frischmuth oder Ernst Hinterberger, in früheren Jahren auch Hilde Spiel, Milo Dor und Hans Flesch-Brunningen.

Darüber hinaus gab es zumeist einen oder mehrere Ehrengäste, für die die Jause ausgerichtet wurde und deren Namen auch auf der Einladungskarte zu finden waren. Häufig handelte es sich um von der Literaturgesellschaft eingeladene ausländische Gäste, deren Besuch meistens in Verbindung mit einer Lesung oder einem Vortrag in der ÖGfL stand, etwa Fritz Hochwälder, Marcel Reich-Ranicki, der Psychoanalytiker Friedrich Hacker, der Historiker William M. Johnston oder der Exil-Germanist Egon Schwarz. Im Falle des späteren Nobelpreisträgers Joseph Brodskys stellte, wie Wolfgang Kraus‘ Tagebuch zu entnehmen ist, sein Besuch einer Jause in der Literaturgesellschaft sogar seinen ersten Auftritt im Westen dar. (Wolfgang Kraus, Tagebuch, 31. Jänner 1996, Nachlass Wolfgang Kraus / ÖLA)

Die ehemalige Sekretärin der ÖGfL, Sylvia Peyfuss, betonte in einem 2016 geführten Interview die große Bedeutung, den die Jause sowohl für die Gäste als auch für die Mitarbeiter*innen der ÖGfL einnahm. Die Idee zu diesem Konzept stammt von Wolfgang Kraus, der laut Sylvia Peyfuss‘ Einschätzung – anknüpfend an die Salonkultur früherer Jahrhunderte – etwas „typisch Wienerisches, Gemütliches“ erschaffen wollte:

 

Dementsprechend wichtig war, dass auch Speis und Trank mit dem Ambiente der salonartigen Räumlichkeiten im Palais Wilczek in Einklang standen. Kredenzt wurde neben Kaffee und Tee in den ersten Jahren Plundergebäck, später Gugelhupf. Einen hohen Stellenwert hatte hierbei, wie Sylvia Peyfuss im Interview erzählt, auch die Wahl der Servietten, wobei man sich, wie bei den Mehlspeisen, aus Kostengründen durchaus eines Tricks bediente:    

 

Die räumlichen Begebenheiten und das zur Verfügung stehende Equipment berücksichtigend, folgte die allgemeine Einladungspolitik dem Credo: „nur so viele Leute, wie es Tassen gibt“:

 

Ohne Zweifel boten die literarischen Jausen Akteur*innen des österreichischen literarischen Feldes eine gute Möglichkeit, Bekanntschaft mit wichtigen Persönlichkeiten des internationalen literarischen Lebens zu machen und umgekehrt. Dass die ÖGfL freilich stets bemüht war, ihren ausländischen Gästen gerade solche Personen vorzustellen, die für diese besonders interessant sein mussten, zeigt folgender Brief von Hella Bronold an den britischen Schriftsteller George Mikes:

Für den 7.November, 17 Uhr, bitten wir Sie zu einer Jause, zu der wir verschiedene Personen einladen werden, die für Ihre Studien von Interesse sind.

(Hella Bronold an George Mikes, 18. Oktober. 1978, ÖGfL-Archiv)

Dass die Akteur*innen bei diesen Gelegenheiten soziales Kapital lukrierten, steht außer Frage, auch wenn nur selten schriftliche Belege dafür vorhanden sind. Überliefert ist etwa in Wolfgang Kraus‘ Tagebuch, dass Günther Anders hier Siegfried Unseld kennengelernt habe, was in weiterer Folge zur Publikation von Anders‘ Werken im Suhrkamp Verlag – und damit zur Gewinnung von symbolischem und ökonomischem Kapital – führte (Wolfgang Kraus, Tagebuch, 20. April 1977, Nachlass Wolfgang Kraus / ÖLA). Ebenso erhalten ist ein Brief von der Unions des Ecrivains Tchechoslovaques aus dem Jahr 1963, der eine andere sichtbare Folge einer solchen Jause aufzeigt – nämlich eine Gegeneinladung an Wolfgang Kraus:

Wir wollen Ihnen noch auf diesem Weg unseren herzlichsten Dank für Ihre Mühe und Liebenswürdigkeit aussprechen, mit welchen Sie für die Gruppe der tschechoslowakischen Schriftsteller anlässlich ihres Aufenthalts in Wien ein Zusammentreffen mit den oesterreichischen Schriftstellern und Kulturschaffenden organisiert haben. Wie wir erfahren haben, interessieren Sie sich lebhaft um das kulturelle Leben unseres Lands und wir gestatten uns daher, Sie zu einem achttägigen Aufenthalt nach Prag einzuladen.

(Unions des Ecrivains Tchechoslovaques an Wolfgang Kraus, 28. August 1963, ÖGfL-Archiv)

Eine mehr als besondere positive Rückmeldung zu einer Jause, die fast 30 Jahre später stattfand, ist von dem slowenisch-italienischen Historiker Jože Pirjevec erhalten. „Der kleine Empfang, den Sie für mich und andere Gäste der Gesellschaft für Literatur organisiert haben, war“, so Jože Pirjevec an Wolfgang Kraus am 8. März 1991, „mit seiner Herzlichkeit so angenehm und beeindruckend, dass ich gleich darüber einen Artikel geschrieben habe.“ In diesem dem Brief beigelegten, auf Slowenisch verfassten Artikel mit dem Titel GlosaGlanz beschreibt der Historiker nicht nur seine Eindrücke der Atmosphäre und des Settings, sondern berichtet auch von den anderen Gästen und den Gesprächen, die er an diesem Nachmittag führte.

Dass jedoch nicht jeder Gast sich bei den Jausen wohl fühlte, zeigt Imre Kertész‘ Bericht Budapest, Wien, Budapest. Fünfzehn Bagatellen, welche von seinen Erfahrungen seines ersten Wien-Aufenthalts 1989 erzählen. Damals als Übersetzungsstipendiat zu Gast bei einer Jause der ÖGfL am 16. Oktober, fallen seine Erinnerungen eher zwiespältig aus:

Eingeladen waren Damen und Herren, denen die Gesellschaft die Stipendiaten des Monats vorstellte. Neben Kaffee und Guglhupf ist auch Osteuropa auf dem Serviertablett.

(Kertész, Imre: Budapest, Wien, Budapest. Fünfzehn Bagatellen, ÖGfL-Archiv)

Kertész‘ Einschätzung zeugt von dem der Literaturgesellschaft auch in den späten achtziger Jahren inhärenten Weltbild einer strikt in zwei politische Sphären geteilten Welt. Obgleich sie als Brücke fungieren wollte, konnte sich auch die ÖGfL den weltpolitischen Narrativen nicht entziehen. Erst wenige Tage vor der Jause, am 3. Oktober, hatte Wolfgang Kraus den Intendanten des ORF Paul Twaroch auf die „interessanten Persönlichkeiten“ aus dem „politischen Osten“ aufmerksam gemacht und ihm diese als Interviewpartner nahegelegt (Wolfgang Kraus an Paul Twaroch, 3. Oktober 1989, ÖGfL-Archiv).

 

Quellenangaben

ÖGfL-Archiv

Nachlass Wolfgang Kraus / ÖLA

Ebel, Ursula: Im Rahmen des Projekts „Die Österreichische Gesellschaft für Literatur. Selbstverständnis, Literaturförderung, Kulturpolitik (2016–2017)“ geführtes Interview mit Sylvia Peyfuss, 12.12.2016.

Kiefer, Nicole: Im Rahmen des Projekts „Die Internationalisierung Wiens im Feld der Literatur am Beispiel der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 1960–1989/90 (2020–2022)“ geführtes Interview mit Sylvia Peyfuss, 29.7.2021.

Zitierhinweis

Kiefer, Nicole: Ein Gugelhupf mit Thomas Bernhard: die Literaturgesellschaft als Wiener Salon. Abrufbar unter: https://ogl.univie.ac.at/aus-dem-archiv/die-literaturgesellschaft-als-wiener-salon/

 

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