Die Literaturgesellschaft aus der Sicht ihrer Mitarbeiter Reinhard Urbach und Hans Haider: „Im Mittelpunkt der literarischen Welt“

Reinhard Urbach, Theater- und Literaturwissenschaftler, zählte in den späten sechziger Jahren und bis zum Jahr 1975, als er mit dem Literarischen Quartier – Alte Schmiede eine zweite literaturvermittelnde Institution in Wien gründete, zu den wichtigsten Mitarbeiter*innen in der Literaturgesellschaft.

Obgleich Reinhard Urbach kritisch gegenüber Wolfgang Kraus‘ Programmierung der Literaturgesellschaft eingestellt war, fokussierte er in dem 2016 geführten Interview auf die besondere Position der Literaturgesellschaft im damaligen Literaturbetrieb:

Ich hab mich damals schon im Mittelpunkt der literarischen Welt gefühlt, was die deutschsprachige Literatur angeht.

1939 in Weimar in der DDR geboren, wanderte Reinhard Urbach nach der Schulausbildung in die BRD aus und studierte in Köln und Bonn Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften. Sein Professor Richard Alewyn vermittelte ihn als Doktoranden über Arthur Schnitzler an dessen Sohn Heinrich Schnitzler weiter. Dieser gewährte ihm Zugang zum Archiv seines Vaters. 1964 zog Reinhard Urbach nach Wien, 1968 begann er in der Literaturgesellschaft zu arbeiten. Er engagierte sich hauptsächlich im Bereich der Germanistik und Auslandsgermanistik und setzte sich für im Exil lebende Autor*innen und Germanist*innen ein, wie etwa für Elias Canetti und Egon Schwarz.

 

Hans Haider war ab 1972 als Nachfolger von Otto Breicha in der Literaturgesellschaft tätig. Von besonderer Bedeutung für Wolfgang Kraus war dabei, dass der junge Mitarbeiter Haider im Besitz eines Autos war, wie er in einem 2016 geführten Interview erzählte. Deswegen fungierte Hans Haider auch als erster Kontakt für zahlreiche aus den kommunistischen Ländern angereiste Autor*innen, Wisssenschafter*innen und Übersetzer*innen, da er diese vom Flughafen oder Bahnhof abholte:

 

Im Gespräch machte Hans Haider auf die einfühlsame Seite von Wolfgang Kraus‘ Engagement für aus dieser politischen Hemisphäre stammende Gäste im Kalten Krieg aufmerksam. Aufgrund von Kraus‘ eigenen Reisen in den Ostblock und seiner intensiven Beschäftigung mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen vor Ort, wusste er  gut über die Wünsche und Sorgen von Gästen wie Jossif Brodskij, Eduard Goldstücker und Zbigniew Herbert Bescheid.

Dieses Wissen gab er an seine Mitarbeiter*innen wie Hans Haider und Hella Bronold weiter, die sich ebenfalls für die Anliegen der Gäste aus den Ostblock-Staaten engagierten. Hans Haider, der im Rahmen seiner späteren Tätigkeit als Journalist und Ressorteiter bei der Tageszeitung Die Presse auch zu einem Kritiker von Kraus werden würde, würdigte dessen umsichtige Betreuung der Gäste:

Das war ja Krausens großes Verdienst, er hat gleich einmal gemerkt, dass diese Ostblock-Leute das Geld, das sie als Honorar und für Aufenthaltsspesen kriegen für Mitbringsel ausgeben und faktisch kaum etwas essen.

Um diesem Selbstverständnis als fördernde Einrichtung für Dissident*innen gerecht zu werden, mietete die Literaturgesellschaft mit den Mitteln des Bundesministeriums für Unterricht ab Ende der 60er Jahre zwei eigene Wohnungen an. Diese standen insbesondere Gästen aus den Ostblock-Staaten kostenfrei zur Verfügung.

 

Quellenangaben

Ebel, Ursula; Englerth, Holger: Im Rahmen des Projekts „Die Österreichische Gesellschaft für Literatur. Selbstverständnis, Literaturförderung, Kulturpolitik (2016–2017)“ geführtes Interview mit Reinhard Urbach, Wien, 22.6.2016.

Ebel, Ursula; Englerth, Holger: Im Rahmen des Projekts „Die Österreichische Gesellschaft für Literatur. Selbstverständnis, Literaturförderung, Kulturpolitik (2016–2017)“ geführtes Interview mit Hans Haider, Wien, 5.10.2016.

Zitierhinweis

Ebel, Ursula: Die Literaturgesellschaft aus der Sicht ihrer Mitarbeiter Reinhard Urbach und Hans Haider: „Im Mittelpunkt der literarischen Welt“. Abrufbar unter: https://ogl.univie.ac.at/aus-dem-archiv/die-literaturgesellschaft-aus-der-sicht-ihrer-mitarbeiter-reinhard-urbach-und-hans-haider-im-mittelpunkt-der-literarischen-welt/

 

 

 

 

 

 

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